Veni creator spiritus

Wir haben so viele Schlösser in unserem Leben – an unseren Türen, unseren Autos, unseren Fenstern, Passwörter und PIN´s für unsere Handys und PC´s…
Warum eigentlich? Ganz klar: Aus Angst.
Wir machen uns Sorgen und schließen die Dinge gut weg bzw. sichern sie ab.

Aber wir schließen nicht nur Besitztümer weg und sichern sie.
Manchmal verschließen wir auch unsere Herzen und Gedanken, besonders wenn wir uns ängstlich, besorgt, deprimiert oder leer fühlen oder wenn wir unter Schuldgefühlen oder Groll leiden.
Dann können unser Verstand und unser Herz erstarren, und wir fühlen uns gefangen und unfähig, weiterzugehen.

So erging es Jesu Jüngern nach seiner Kreuzigung.
Sie fürchteten, dasselbe Schicksal wie er zu erleiden, und schlossen sich deshalb im Abendmahlssaal im „Obergemach“ ein.
Dann, an Ostern, tritt Jesus durch diese verschlossene Tür, überrascht sie und begrüßt sie mit den Worten:
„Friede sei mit euch.“
Kurz darauf haucht Jesus sie an und sagt: „Empfangt den Heiligen Geist!“ (Joh 20,22).
Warum haucht er sie an?
Das kann uns doch heutzutage seltsam anmuten.
Aber dieses Anhauchen hat einen tiefen Sinn, denn Jesus ist Gott und Gottes Atem ist das Leben selbst.

In der Bibel ist oft von Hauch und Atem die Rede.
Das fängt schon in der Schöpfungsgeschichte an.
Da heißt es, in der Einheitsübersetzung, dass Gottes Geist über den Wassern schwebte und das ist nur eine sehr entfernte Übersetzung des Wortes „ruach“ im hebräischen Original. „Ruach“ ist Atem, ist „Hauch“.
Gottes Atem erfüllte alles. Er hauchte sozusagen, als alles dunkel war, über die Wasser des Chaos, und das führte zu Licht und Leben (Gen 1,1-5).
Später, im Garten Eden, bleibt auch die Einheitsübersetzung näher am Sinn des Originales und übersetzt:
„Da formte Gott, der HERR, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem.
So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen“.
(Gen 2,7).
Und im Buch Ezechiel (Ez 37) belebt Gottes Atem das, was einst im Tal der verdorrten Knochen tot war.

Mit anderen Worten:
Gottes Atem ist stets lebensspendend, schöpferisch und erneuernd.
Es ist natürlich sein Heiliger Geist, der nicht nur biologisches Leben, sondern auch geistliche Erneuerung bringt.

Deshalb haucht Jesus seine Jünger im Abendmahlssaal an. Er schenkt ihnen den Frieden seines Heiligen Geistes.

Fünfzig Tage später, an Pfingsten, sind die Jünger am selben Ort, wissen aber immer noch nicht, was sie mit sich anfangen sollen. (Apg 2, 1–11)
Dann kommt plötzlich ein Geräusch wie ein mächtiger Wind vom Himmel.
Und es ist wieder einmal der Atem Gottes.
Es ist Gottes lebensspendender Geist, der sie mit Sinn und Ziel, Leidenschaft und Überzeugung erfüllt und sie verwandelt. Dann gehen sie hinaus in die Welt, um allen die frohe Botschaft von Jesus zu verkünden.

Am Pfingstfest, feiern wir Gottes sanften, aber kraftvollen Geist, der nie aufhört zu wehen.
Und wir erinnern uns daran, dass das Feuer der Liebe Gottes weiterhin hell in den Herzen der Gläubigen brennt.

Aber wie steht es bei uns selbst?
Sind wir vom Heiligen Geist erfüllt und spüren seinen Atem in unserem Leben?
Oder sind wir in unserem eigenen Obergemach gefangen, mit unseren Gedanken und jagen diese ziellos umher?

Da lohnt es, auf Menschen zu schauen, die geschafft haben, aus diesem inneren abgeschlossenen Obergemach heraus zu kommen.

Eine, die es schaffte, war die heilige Edith Stein.
Sie wurde 1891 in Breslau (heute Polen) in eine gläubige jüdische Familie hineingeboren. Als Teenager wandte sie sich dem Atheismus zu; wurde als Erwachsene eine brillante Philosophin und eine der ersten Frauen in Deutschland, die promovierte.
Edith Steins „Obergemach“ war jedoch kein physischer Raum. Sie fühlte sich gefangen in einem intellektuellen Gefängnis, gefangen in einem stillen Raum zwischen Unglauben und Gnade, in dem sie sich spirituell ruhelos fühlte.
Ihre philosophische Arbeit warf tiefe menschliche Fragen nach Wahrheit, Liebe und der Seele auf, aber sie fand keine guten Antworten. Und als einige ihrer Freunde begannen, Christen zu werden, regte sich etwas tief in ihr.
Eines Tages nahm sie die Autobiografie der spanischen Mystikerin Teresia von Avila in die Hand. Sie las sie in einer Nacht durch und sagte, als sie fertig war: „Das ist die Wahrheit.“
Das war ihr Pfingstmoment, als sich ihre verschlossene Tür öffnete.
Sie wurde katholisch, trat in den Orden der Karmelitinnen in Köln ein und nahm den Namen Teresia Benedicta vom Kreuz an. Von den Nationalsozialsten wurde sie schließlich im KZ Auschwitz umgebracht.
Doch selbst in dieser Dunkelheit blieb sie gelassen und sagte: „Kommt, lasst uns für unser Volk gehen.“
Ihre letzte Tat war die Annahme des Kreuzes Christi. Bereitwillig nahm sie den Tod in Solidarität mit ihren jüdischen Brüdern und Schwestern an.
Wir spüren wie hier Gottes Geist wirkt, zu dem sich Edith Stein mühsam vorgekämpft hat.

Der Blick auf Edith Stein, auf ihr Leben und Sterben kann uns heute ein Hinweis sein, dass es sich lohnt, auch in tiefster Dunkelheit auf den Geist Gottes zu vertrauen, seinen Hauch des Lebens, der auch über jedem scheinbaren Chaos im Leben schwebt, zu vertrauen.

Edith Stein hat uns ein reiches philosophisches Erbe in ihren Schriften hinterlassen. Unter anderem auch eine Bitte an den heiligen Geist, dass er sich zeige.
Darin zeigt sich sowohl die Suche Edith´s nach dem Geist Gottes, als auch die Tatsache, dass sie diesen Geist bereits gefunden hat.

Bitten auch wir mit den Worten Edith Steins um die Befreiung aus unserem „Obergemach“; empfangen und entdecken wir den lebensspendenden Atem Gottes.

Bitte an den Heiligen Geist, dass er sich zeige

Du milder Geist, der alles Gute schafft,
du meiner Seele Frieden, Licht und Kraft,
der ew’gen Liebe Allgewalt,
o zeig’ dich mir in sichtbarer Gestalt.

Da sich der Menschensohn am Jordan zeigte,
sein göttlich Haupt in tiefster Demut neigte,
da kamst du, aller Reinheit Überfülle,
in einer sanften Taube lichter Hülle.

Die Jünger hörten dich im Sturmesbrausen,
das Haus erbebt von dem gewalt’gen Sausen.
Auf ihrem Haupt zuckt’s auf wie Feuerzungen,
da deine Liebesglut ihr Herz bezwungen.

Doch schufst du dir ein treues Ebenbild:
der Schöpfung reinste Blüte, göttlich-mild.
In einem Menschenantlitz himmlisch-klar
wird deines Lichtes Fülle offenbar.

Aus ihrem Auge strahlt der Liebe Glut
und weht doch Kühlung wie von klarer Flut.
Ihr Lächeln ist der sel’gen Freude Schein,
fließt balsamgleich in wunde Herzen ein.

An mütterlicher Hand führt sie gelind
und dennoch stark in deiner Kraft ihr Kind.
Wo ihre Füße wandeln, grünt und blüht die Flur,
und Himmelsglanz umleuchtet die Natur.

Der Gnadenfülle lichte Herrlichkeit
hat sie zum Thron erwählt von Ewigkeit
und strömt durch sie herab ins Erdenland
und jede Gabe kommt aus ihrer Hand.

Als Braut ist sie unlöslich dir verbunden –
o milder Geist, ich habe dich gefunden:
Du offenbarst mir deiner Gottheit Licht
hell-leuchtend in Marias Angesicht.

(Braut des Heiligen Geistes, in Geistliche Texte II, S. 207 f.)